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Quo vadis Radverkehr?

An mehreren Stellen stellte sich im VCD und dessen Umfeld in letzter Zeit die Frage, wie man den Radverkehr weiterentwickeln soll als wichtigen Baustein der Verkehrswende. Unter anderem: Radweg oder Fahrbahn? Durch die Stadt oder durch die Natur? Das sollen die nachfolgenden Artikel erläutern, in der nächsten Ausgabe werden vmtl. weitere folgen.

1. Radverkehr Rheinstetten

Wahlfreiheit in Bulach gut angezeigt; Fotos: Heiko Jacobs
Das war mal ein Pflichtradweg mit Gegenverkehr aber Null Sicht auf diesen!
Doppelt verboten, aber fleißig beradelt: alter Radweg
Strittige spitzwinklige Querungsstelle mit nu umgedrehtem Verbotsschild, nach Jahren wird ein Umbau geplant.

Gelegentlich trifft sich der VCD auch vor Ort, um spezielle Themen zu besprechen, so am 13. August in Rheinstetten, wo ein VCD-Mitglied aktiv im Arbeitskreis Mobilität & Verkehr mitwirkt, und wo wir uns den Radverkehr auf der Hauptachse entlang der Bahn und an einigen umzugestaltenden Stellen anschauen.

Zunächst ein Blick zurück in die Geschichte

Besagte Hauptachse war schon mal Thema für ein VCD-Mitglied: Jens Müller widersprach Mitte 2007 in der Karlsruher Straße auf dem Abschnitt, den er Ende 2006 erstmals befuhr, der dort angeordneten Benutzungspflicht des Zweirichtungsradweges und einem Radfahrverbot über die Bahn. Der Pflichtradweg entsprach nicht im entferntesten der für die Verwaltung verbindlichen VwV-StVO, schon für Einrichtungsradverkehr nicht, erst recht nicht für Zweirichtungsradverkehr, dafür ist er viel zu schmal und unübersichtlich. Das lässt sich auch nicht mit vertretbarem Aufwand ändern. Das Verfahren zog durch mehrere Instanzen und schrieb insofern Rechtsgeschichte, dass erst das Bundesverfassungsgericht 2009 die Fristenfrage für Anfechtungsklagen bei Verkehrsschildern klärte. Daraufhin hob die Verwaltung die Benutzungspflicht noch vor der Berufungsverhandlung wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit auf, erst im Verfahren fiel auch das Querungsverbot, s. a. u&v 1/10.

Dieser Zustand (freiwillig befahrbarer „Gehweg, Radfahrer frei“, was dauerhafte Schrittgeschwindigkeit bedeutet(!) in beide Richtungen im beklagten Bereich, aber weiterhin Pflichtradweg weiter südlich mit kaum besserem Radweg), blieb eine ganze Weile, bis Rheinstetten ein Radverkehrskonzept beim Büro VAR+ beauftragte, das recht bald diese Zustände kritisierte. Zuerst wurde im nördlichen Teil eine Piktogrammspur markiert, die Radfahrer zum Radfahren auf der Fahrbahn anregen und vor allem dem Autoverkehr zeigen sollte, dass dies dort völlig in Ordnung sei. Das verbesserte das Miteinander dort nach Berichten deutlich. Dies wurde später auf den südlichen Teil der Ortsdurchfahrt erweitert unter Aufhebung der Benutzungspflicht auch dort. Schon bei Aufstellung des Radverkehrskonzeptes sagte das Büro, dass die Aufhebung des „Radfahrer frei“ auf dem viel zu schmalen Bordsteinweg nach einer Übergangsfrist unerlässlich sei. Dies wurde inzwischen in großen Teilen umgesetzt, nur am Nordende außerhalb der Tempo-30-Zone stehen diese Schilder noch. Lediglich Kinder bis zum 10. Geburtstag und ggfs. eine Begleitperson dürfen nun den Bordsteinweg benutzen nach § 2 (5) StVO. In vielen Abschnitten ist der Radweg zwar noch durch unterschiedliches Pflaster sichtbar, aber entweder durch Beschilderung zum „Gehweg, Radfahrer frei“ herabgestuft (am Nordende, wo Tempo 50 gilt) oder durch ein Gehwegschild ohne Zusatz zum reinen Gehweg erklärt (überall sonst). Nur ohne solche Schilder wäre es ein „anderer Radweg“ nach § 2 (4), dann auch ohne Schrittgeschwindigkeit. Unstimmig waren noch vorhandene Radfurten bei Stellen mit nun reinem Gehweg, die eigentlich weg müssten wie an anderen Stellen.

Links: Beginn Tempo-30-Zone, ab hier keine Freigabe mehr (Zusatzschild Freigabe der Gegenrichtung von hinten zu sehen); Mitte: Alter Radweg noch erkennbar, aber keine Freigabe, dafür mit überflüssiger Furt; rechts: Nach Umbau alter Radweg nicht mehr erkennbar und ohne Furt. Auf den Fahrbahnen: Piktogrammspur

Soweit die Theorie, ...

... die den städtischen Alltagsradler, vor allem die männlichen und schnellen im mittleren Alter, durchaus glücklich macht, sofern er darum weiß, dass die oft beschworene Sicherheit von Radwegen allenfalls ein Sicherheitsgefühl ist. Denn diesem Gefühl widersprechen die Unfallstatistiken1), nach denen sehr viele Unfälle auf Radverkehrsanlagen passieren, aber nur sehr wenige im Längsverkehr auf Fahrbahnen. Vor allem die leider oft tödlichen Unfälle zwischen abbiegenden Lkw und geradeausfahrenden Radfahrern passieren praktisch nur auf Radverkehrsanlagen und sie passieren besonders häufig Kindern, Senioren und Frauen, die am meisten auf die angebliche Sicherheit des Radwegs vertrauen.

Die Praxis ist aber offenbar eine andere, wie wir als unrepräsentative Stichprobe beim Termin vor Ort feststellen konnten: Sehr viele Radfahrer, vermutlich sogar die Mehrheit, nutzten weiterhin illegal den zumeist aufgehobenen untauglichen ehemaligen Bordsteinradweg statt der Fahrbahn, oft gerade auch die besagte am meisten gefährdete Gruppe.

Was soll man nun machen?

Waren wir auf dem falschen Weg und haben am Bedarf vorbei das Fahrbahnfahren propagiert und braucht man stattdessen mehr „sichere Radwege“? Oder muss man stattdessen noch mehr für das Radfahren auf der Fahrbahn werben? Für ersteres wird gerne auf die Niederlande verwiesen, aus denen man großzügige durchgehende Radverkehrsanlagen kennt, und alleine nach dem Prinzip „Safety in numbers“ (je mehr Radfahrer unterwegs sind, desto mehr wird auf sie geachtet. Und auch umgekehrt, siehe Helmpflicht in Australien) erwartet man dort weniger Unfälle pro Kilometer Fahrleistung, leider ist das aber nicht unbedingt so1). Immerhin soll das Radfahren dort wesentlich entspannter sein.

Das Problem ist, dass man für den niederländischen Standard auch bei uns sehr, sehr viel Geld in die Hand nehmen müsste, das ist vereinzelt, aber nicht in ganz Deutschland machbar. Das ist nun kein Plädoyer gegen eigene Infrastruktur für Radfahrer, nichts geht über das Radfahren ungestört vom Autoverkehr, aber zu den Problemen dabei siehe nachfolgendes Thema „Radschnellweg Ettlingen“.

Aber man muss auch anerkennen, dass dafür nicht überall der nötige Platz vorhanden ist. Bestes Beispiel ist eben die besagte Ortsdurchfahrt Rheinstetten, wo es neben Bahn-, Auto- und Grünflächen nur für einen grottenschlechten Radweg gereicht hat. Die Achse entlang der B 36 ist auch nicht viel besser. Eine weitere Achse weiter westlich im Ort auf Nebenstraßen ist Fahrradstraße, zudem wird es den Radschnellweg nach Rastatt geben, aber vermutlich östlich des Ortes. Zu diesen Achsen muss man erst hinkommen und es liegen viele Geschäfte und Institutionen an der Ortsdurchfahrt als Ziel für Radfahrer.

Und genau deswegen wird man nicht drumrum kommen, auch hier das Radfahren auf der Fahrbahn für alle Radfahrer zu verbessern. Die Piktogrammspur ist da ein Baustein, die Aufklärung über die wahren Gefahren des Radverkehrs wäre der andere wichtige Baustein. Genauso wichtig ist aber auch die Reduzierung des Autoverkehrs durch Verlagerung auf den Rad- und öffentlichen Verkehr, der gerade dort ja schon gut ausgebaut ist. Und natürlich stetige Verbesserungen an der Radverkehrsinfrastruktur, einigen dieser Stellen, wo das nötig wäre, widmete sich die zweite Hälfte der Exkursion. Ein Entweder-nur-Radwege-oder-nur-Fahrbahn wäre der falsche Weg, es braucht beides, Radfahren muss mit und ohne Radweg sicher und allgemein akzeptiert sein.

1) Mehr zur Sicherheit von Radwegen und zu (tödlichen) Radunfällen findet sich auf den Webseiten bernd.sluka.de und (incl. Vergleich Niederlande) radunfaelle.wordpress.com

Heiko Jacobs

Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 2/21

Stand des Artikels: 2021! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.

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