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... und Niederländische Schutzkreuzungen?

Protected_intersection_features.png von Pierre Rouzeau (PRZ) auf wikimedia commons, Lizenz CC-by-sa  4.0 Prinzip der geschützten Kreuzung; Übersetzung: Jacobs (anklicken = doppelte Größe)

Ähnliche Geometrien bspw. in Bremerhaven; Actioncam-Ausschnitte 2018: Heiko Jacobs
Bsp. Niederlande, Amsterdam, Plesmanlaan: Hier (nicht überall!) mit getrennter Ampelschaltung: Abbieger Rot, Radfahrer Grün (evtl. sogar Rundum-Grün?); Foto: Mapillary, User amsterdam, 4.7.2017, Lizenz CC-by-sa  4.0

Teil des im Artikel zuvor behandelten Grünen-Antrags war, den Umbau der Kreuzungen am Mühlburger Tor und der Kriegsstr. zu einer sogenannten Schutzkreuzung nach niederländischem Vorbild zu prüfen. Was ist das überhaupt, welche Vor- und Nachteile haben sie, auch aus Sicht der Fachwelt, wo kommen sie wirklich her?

Gefährlich für Radfahrer sind vor allem die Stellen, wo sich die Wege verschiedener Verkehrsmittel kreuzen, also vor allem an Kreuzungen und Grundstückszufahrten.

Wenn Radverkehr auf eigenen Wegen geführt wird, war das Paradigma der Planer in den letzten Jahrzehnten, die Radfahrer möglichst nahe am Autoverkehr zu führen, damit nichts die Sicht zwischen beiden behindert, denn fehlende Sicht oder das „Vergessen“, auf andere, nicht sofort Sichtbare zu achten, ist das Hauptproblem. War ein Radweg zuvor durch Grün oder Parker abgesetzt, hat man ihn daher zur Fahrbahn hin verschwenkt. Das musste rechtzeitig vorher geschehen. Damit sich auch Fußgänger und Radfahrer nicht ins Gehege kommen, wird der Radweg vor der Fußfurt zur Radspur, denn Fußgänger warten gewohnheitsmäßig am Bordstein, ohne diesen Trick im Zweifel mitten auf dem Radweg. Radfahrer, die geradeaus wollen, fahren gerade und flott über die Kreuzung, rechtsabbiegende Radler können sich aber nicht „hintenrum vorbeischummeln“, sondern warten ggfs. an der Ampel. Linksabbieger sind ein Problem, da sie entweder für das direkte Abbiegen durch den Verkehr eine Abbiegespur erreichen müssen, dann aber in einem Zug abbiegen, oder indirekt abbiegen müssen, was auch nicht immer gut eingerichtet wurde. Häufig finden sich Geradeausradfahrer zwischen Autospuren wieder, oft kein Wohlfühlgefühl.

Die angeblich niederländische Schutzkreuzung geht den genau anderen Weg: Radfahrer werden von der durchgehenden Fahrbahn gegebenenfalls sogar weggeschwenkt. Geradeausfahrende Radler werden so gebremst, aber immer auf eigenem Weg, Rechtsabbieger tun dies ampelfrei, Linksabbieger quasi indirekt ohne Fahrspurwechsel mitten im Autoverkehr. Immer vorausgesetzt, der Knoten ist größer und alle vier Richtungen haben Radwege o. ä. Bisher klingt das teils nicht schlecht.

Ist diese abgesetzte Geometrie neu? Aus dem Raum Karlsruhe kenne ich sie nicht, aber in Netzdiskussionen über Radverkehrssicherheit sehe ich (neben der anderen, auch bei uns bekannten Kreuzungsform mit Dreiecksinseln und „freilaufenden Rechtsabbiegern“) bundesweit immer wieder Beispiele mit abgesetzten Radfurten ganz ähnlich wie bei den Schutzkreuzungen. Aus meiner alten Heimatstadt Bremerhaven kenne ich aus eigener Erfahrung sehr ähnliche Geometrien. Unterschiede zwischen „alter deutscher“ und „neuer niederländischer“ „Schutzkreuzung“: Bei ersteren in der Regel Radwege auf Gehweghöhe und ohne „Zebra“, Schutzinseln nicht mit Bordsteinen, außerdem unterschiedlich große Radien und Absetzungen, nicht immer in „Pkw-Länge“. Letztere könnten durchaus relevant sein, der Rest eher nicht.

... und in den Niederlanden? In der städtischen Stellungnahme wurde aus einem Papier der FGSV1) zusammengefasst: „Schutzkreuzungen seien demnach vor allem mit Nachteilen für den Fußverkehr verbunden. Außerdem würden valide Erkenntnisse zur Sicherheitswirkung fehlen, da diese Variante der Radverkehrsführung an innerörtlichen Kreuzungen in den Niederlanden bislang eher selten umgesetzt wurde. Es seien auch keine Evaluationen dazu aus den Niederlanden bekannt. Warum überhaupt „niederländisch“? Diese Bezeichnung (oder „Dänemark“) steht bei uns quasi für erfolgreichen und vor allem sicheren Radverkehr. Erfolgreich ja, aber an der besseren Sicherheit gibt es Zweifel auf Basis des Vergleichs von (tödl.) Unfällen. Laut UDV sind sie 2017 pro Einwohner und auch nach Fahrleistung in den Niederlanden deutlich höher als in Deutschland und Dänemark2), auch ein weiterer Vergleich im Netz kommt zu diesem Ergebnis.3)

Das Mantra „Radverkehr in den Niederlanden ist sicherer“ sollte daher hinterfragt werden und damit auch alles, was als „niederländisch“ verkauft wird: Ist es wirklich sicherer? Passt es auch zu uns in Deutschland? Und man muss Pkw und Lkw unterscheiden. Ein rechtsabbiegender Pkw ist bei Erreichen einer weit abgesetzten Furt schon recht weit rum, man kann durch die vorderen und hinteren Seitenfenster oft einen brauchbaren direkten Blick auf den Radverkehr haben. Ein großer Lkw (/Bus) ist dagegen dort noch mitten im Abbiegen und hat nur die Sicht aus einem kleinen Seitenfenster, seine Spiegel zeigen dann irgendwo hin, bei Aufliegern bspw. auf die Lkw-Seitenwand, aber nur noch begrenzt zum Radweg. Auch moderne Abbiegeassistenten scheinen wegen der schlechteren Winkel etc. zu versagen, so erste Ergebnisse der Unfallforscher der UDV4). Ein weiteres Problem in Deutschland: Bei Absetzungen von mehr als 5 m wird Radfahrern regelmäßig per kleiner Schilder „Vorfahrt gewähren“ der Vorrang vor Abbiegern genommen, deutsche Autofahrer sind es so nicht mehr gewohnt, dort noch mit bevorrechtigten Radfahrern zu rechnen, zumal es für sie so aussieht, er würde auch rechts abbiegen, er fährt ja erst kurz vorher wieder „nach links“ zum Geradeausfahren. Hinzu kommt, dass Fußgänger und Radler und diese untereinander sich ungeregelt kreuzen, ungünstig für Fußgänger, insbesondere mit Handicap, bei hohem Fuß- oder Radverkehr steht man sich gegenseitig im Weg.

Liegt der angebliche Sicherheitsvorteil ganz woanders? Beim UDV findet sich versteckt der Hinweis, dass in den Niederlanden die Ampelschaltung oft anders ist: Die Ampeln der rechtsabbiegenden Autos und die der Radfahrer werden seltener, wie in Deutschland oft zu finden, nahezu gemeinsam, bestenfalls mit etwas Vorlauf für Rad+ Fuß, sondern öfter getrennt geschaltet. Dann kommt es natürlich kaum zu Unfällen, aber das funktioniert auch bei anderen Geometrien ohne Verschwenkung und mischen von Rad+Fuß. Aber eine andere Ampelschaltung muss man erst mal wollen und einrichten können, denn sie geht zu Lasten der Leistungsfähigkeit der Kreuzung, Autos und auch Rad+Fuß hätten weniger Grünzeit. Und es braucht evtl. Platz für Rechtsabbiegespuren, wie auch die geschützte Kreuzung selbst durch die Absetzung Platz braucht, der vor allem innerstädtisch nur selten vorhanden ist. Damit sind wir schon beim Hauptproblem aller Kreuzungsdesign: beim faulen Kompromiss. Genauso, wie heute schon „unser“ Design oft verhunzt wird, weil die Spuren zu schmal sind oder das Ranschwenken an die Fahrbahn wegen Parkern/Bäumen zu spät erfolgt etc., wird der „faule Kompromiss“ auch „niederländische“ Schutzkreuzungen treffen und das schon in den Niederlanden selbst mit Unfällen. Bevor man sich daran versucht, immer neuere Designs zu verhunzen, sollte man zunächst die angeblichen Vorteile in der Forschung verifizieren und deren Umsetzbarkeit auf lokale Verhältnisse prüfen und auch „unser“ Design verbessern, insbesondere beim Linksabbiegen.

Heiko Jacobs

Quellen und Links:

1) fgsv-verlag.de/pub/media/pdf/26501.v.pdf
2) udv.de/udv/themen/radverkehrssicherheit-in-deutschland-niederlande-und-daenemark-81676
3) radunfaelle.wordpress.com/vergleich-de-nl/
4) udv.de/udv/themen/kreuzungen-nach-niederlaendischem-vorbild-verschlechtert-sicht-fuer-lkw-81518

udv.de/udv/udv-blog/-geschuetzte-kreuzung-sinn-oder-unsinn—76752
darmstadtfaehrtrad.org/?p=671

Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 2/22

Stand des Artikels: 2022! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.

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