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  Pro Bahn   

Gibt es eine Mobilitätswende?

Ausgebremster TGV am Bahnübergang Kleinsteinbach. Foto: Ullrich Müller

Seit dem Dieselskandal versuchen Politik und Automobilindustrie Schädigungen an der Umwelt durch Abgase aus Verbrennungsmotoren durch eine nachhaltige „Mobilitätswende“ zu minimieren. Immerhin stammen 25 % unserer schädlichen Emissionen von Verbrennungsmotoren. Tatsächlich ist erkennbar, dass sich hinter der „Mobilitätswende“ lediglich eine Änderung der Antriebsart versteckt, aber keine Änderung des Mobilitätsverhaltens. Im Grunde ist der E-Motor nicht schlecht, denn die lokalen Emissionen sind gleich NULL. Aber die neuen Antriebstechnologien müssen unbedingt auch mit neuen Nutzungsformen kombiniert werden. Also wir dürfen nicht 46 Millionen Verbrennungskraftfahrzeuge durch 46 Millionen Elektromobile ersetzen. Dagegen halten sich seltsamerweise unsere Nahverkehrsunternehmen mit der Elektrifizierung ihrer Busse extrem zurück. Einstmals gab es in der BRD rund 1000 Kilometer elektrischer Buslinien, u. a. in Baden-Baden und Pforzheim, die bis auf einen kümmerlichen Rest den Dieselbus-Konzernen zum Opfer gefallen sind.

Warum braucht es einen Porsche Cayenne mit 324 kW Leistung, das sind 440 PS, zu einem Preis von 100.000,— €, um wenige Kilometer zur Arbeit oder zur Naherholung zu fahren, wenn der gleiche Weg mit einem Fahrrad für 1000,— € oder mit Bahn und Bus zurückgelegt werden kann?

Bei voller Besetzung mit 180 Leuten verbraucht eine Straßenbahn 3,11 kW pro Person. Um 5 Leute mit dem Cayenne zu transportieren verbraucht der 20-mal mehr an Energie und wenn die 180 Leute auch noch mit dem Cayenne transportiert werden sollen, dann ist der Raumbedarf 50-mal (!) größer als bei der Straßenbahn.

Daher darf der PKW in naher Zukunft kein universelles Transportmittel mehr sein, kein Kultobjekt, sondern ein Transportgefäß für die erste und die letzte Meile zum nächsten Bahnhof oder Haltestelle. Dazu kommen Elektro-Car- und Bike-Sharing-Angebote, sichere Rad-und Fußwege, Mitfahrgelegenheiten und Bürgerbusse im ländlichen Raum. Das gibt’s eigentlich alles schon, aber es fehlt vielfach am Verständnis der Entscheidungsträger, die eine Umsetzung verhindern. Denn leider erschöpft sich unsere Verkehrspolitik im Bau von langwierigen und milliardenschweren Prestigeobjekten, wie den Karlsruher Stadtbahntunnel oder Stuttgart 21.

Die vielen kleinen Reparaturstellen werden dabei geflissentlich übersehen.

Keine 15 km von Karlsruhe entfernt müssen an einem unübersichtlichen Bahnübergang täglich 150 Züge von 110 km/h auf 30 km/h abbremsen. Dabei sind in den letzten 10 Jahren durch die Energievernichtung Kosten von 13,7 Mio. € entstanden. Dafür hätte auch der Bahnübergang beseitigt werden können. Und das ist das Dilemma: was auf der einen Seite an Baukosten eingespart werden soll, wird auf der anderen Seite mit erhöhten Energiekosten ausgegeben. Es fehlt das Denken im Zusammenhang.

Seit dem Tunnel-Desaster in Rastatt wird deutlich, wie wichtig, aber auch verwundbar die Rheintalbahn ist. Es fehlt im Rheintal nicht an alternativen Umleitungsstrecken, sondern bislang an der Zusammenarbeit der beiden nationalen Bahnverwaltungen DB und SNCF, die in Havariefällen kurzfristig Umleitungen bereitstellen könnten.

Aber selbst im Kleinen laufen die Bemühungen von Pro Bahn und VCD für einen verbesserten grenzüberschreitenden öffentlichen Verkehr zwischen Baden und Elsass ins Leere. Auch hier fehlt das Verständnis von Verwaltung und Politik für die Reaktivierung der Wintersdorfer Brücke und die Einrichtung eines Busverkehrs von Baden-Baden nach Hagenau. Als kleiner Schritt ist es wenigstens gelungen, dass das „TICKETPLUS Alsace (Alsa+) als preiswerte Anschlusskarte im KVV erworben werden kann und dass wochenends die SNCF Züge umsteigefrei ab Wörth nach Straßburg fahren.

Einer kooperativen Verkehrsteilung Schiene/ Straße zuwiderlaufend sollen zukünftig Hybrid-LKW unter Oberleitung auf der B 462 im Murgtal Güterverkehr machen, obwohl alle großen Firmen samt Daimler Benz Gleisanschlüsse haben. Ein echtes Modellprojekt wäre doch, den Schienengüterverkehr zu reaktivieren. Grundsätzlich wäre gegen eine Elektrifizierung von LKW auf Steilstrecken nichts einzuwenden, aber bitte nur dort, wo keine Bahnlinien existieren. Im Murgtal ist das eben anders, hier wurden Güterverkehrskapazitäten auf der Schiene demontiert um den Straßengüterverkehr zu forcieren. Hier laufen die Absichtserklärungen der Politik zur Stärkung der Bahn mit dem tatsächlichen Handeln diametral auseinander.

Wie in Deutschland die Schieneninfrastruktur vernachlässigt wird, ist daran erkennbar, dass hierzulande 65,— € pro Einwohner und Jahr für die Schiene ausgegeben werden, in der Schweiz sind es aber 365,— €. In anderen europäischen Ländern sind es ähnlich hohe Beträge. Obendrein müssen Fernbusse keine Maut bezahlen und die Terminals werden auch noch kostenlos zur Verfügung gestellt.

Unsere Bahn ist ein elementarer Bestandteil der Daseinsfürsorge und darf nicht länger sträflich benachteiligt werden.

Es bleibt nun zu fragen, ob unsere Volksvertreter den dringenden Wandel in der Mobilität erkennen werden, oder ob es ein „weiter so“ auf der Straße geben wird. Nur eben komplett elektrisch?

Ullrich Müller

Was ist eigentlich Mobilität?

Die Beantwortung dieser Frage ist äußerst wichtig, wenn man über die Zukunft auf unseren Straßen, Schienen, Wasserwegen oder in der Luft nachdenken und Lösungen entwickeln will. Rein definitionsgemäß ist Mobilität folgendes:

Potentielle Mobilität ist die Beweglichkeit von Personen, allgemein und als Möglichkeit. Realisierte Mobilität ist realisierte Beweglichkeit, ist die Befriedigung von Bedürfnissen durch Raumveränderung (kurz: Mobilität). Verkehr ist das Instrument, das man dann für die konkrete Umsetzung der Mobilität benötigt. Verkehr umfasst Fahrzeuge, Infrastrukturen und die Verkehrsregeln und ist auch sehr gut messbar.

Aus Becker, U.; Gerike, R.; Völlings, A.: Gesellschaftliche Ziele von und für Verkehr, Heft 1 der Schriftenreihe des Instituts für Verkehr und Umwelt e.V. (DIVU), S. 71; Dresden 1999

Dies ist ein Artikel der Karlsruher Zeitschrift umwelt&verkehr 3/17

Stand des Artikels: 2017! Der Inhalt des Artikels könnte nicht mehr aktuell sein, der Autor nicht mehr erreichbar o.ä. Schauen Sie auch in unseren Themen-Index.

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