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Ein Appell zum Handeln aus der Schweiz von Julia Steinberger

Hochwasser an der Alb
trocen gefallen aussehender Rhein
Im Angesicht großer Katastrophen: Bspw. durch Klimawandel nehmen Wetter-Extreme zu, ob Orkan, Dürre, Hochwasser, ...; Symbolfotos: Heiko Jacobs
Historischer Kleinstwagen mit Anhänger
... und ist das Auto noch so klein (und ggfs. effizienter): Es verbraucht dennoch Ressourcen bei Bau und Betrieb und macht im Falle eines Falles Aua bei Unfällen etc.
Falschparer auf Radfahrstreifen
... aber wenn's doch (fast) jeder tut ...?!

In ihrem Film „Das Ende der Welt, wie wir sie kennen“1) porträtiert die Regisseurin Julia Neuhaus für den NDR drei Menschen, die „das Überleben im Angesicht großer Katastrophen suchen“. Eine davon ist Julia Steinberger, Professorin für Ökologische Ökonomie an der Universität Lausanne. Der Film ist leider nicht mehr in der Mediathek abrufbar, Ausschnitte kann man aber auf YouTube finden. Der Film hat uns von der BUZO neugierig auf Julia Steinberger und ihre Positionen gemacht, hier haben wir Aussagen aus ihrem Essay „Dinge, die mich nicht mehr beruhigen“2) zusammen gestellt.

Julia Steinberger ist als Tochter amerikanischer Wissenschaftler in Genf aufgewachsen, sie lebt mit ihrer Familie in der französischen Schweiz. Sie forscht u. a. nach Möglichkeiten für ein gutes Leben für alle Menschen ohne Übernutzung der Ressourcen der Erde. Als größtes Hindernis zu einer solchen Transformation benennt sie mächtige Akteure in Wirtschaft und Politik, die mit Ausbeutung von Öl, Bodenschätzen, Arbeitskräften oder Naturräumen etc. sehr viel Geld verdienen. Ihr Essay ist aus dem Sommer 2022, der Zeit, als wir Umweltschützer nach dem russischen Überfall auf die Ukraine feststellen mussten, dass die vielen kleinen Schritte, so wichtig und unverzichtbar sie sind, für eine ökologische Umkehr nicht ausreichen, da mächtige Gegenspieler mit all ihrer Macht dagegen arbeiten. Sie beginnt ihr Essay „Dinge, die mich nicht mehr beruhigen“ darum mit einem kritischen Blick auf Haltungen, mit denen wir uns beruhigen wollen, die aber zu keinen Verbesserungen führen:

1. Etwas weniger schlimm sein

Menschen haben viele Bewältigungsmethoden, um mit objektiv schlechten Situationen umzugehen. Eine zentrale Bewältigungsmethode besteht darin, sich auf leichte Verbesserungen zu konzentrieren, anstatt auf die Situation als Ganzes. Diese Bewältigungsmethode ist so weit verbreitet und gefährlich, dass man ihre Wirkung kaum überschätzen kann. Sich auf die moralische Überlegenheit zu berufen, weil das Eigene [SUV / die eigene Firmenflotte / das eigene Land / usw.] etwas weniger umweltschädlich ist als früher oder das des Nachbarn, ist beides üblich und schlimm. Wir sollten uns nicht mit einer Grundlinie himmelhoher Schäden vergleichen, sondern damit, wo wir sein müssen, um innerhalb der planetaren Grenzen zu bleiben.

2. Etwas effizienter sein

Offensichtlich ein enger Verwandter des vorherigen, verdient aber eine eigene Kategorie. Ich erlebe das immer wieder: Wenn wir eine lange Autofahrt machen, aber immerhin vier Leute in unserem Auto sind, während alle anderen auf der Autobahn allein sind. Pro reisender Person sind wir effizienter — aber in Wirklichkeit sind wir immer noch ein weiteres Auto auf der Autobahn. Wenn wir in einem vollen Flugzeug fliegen, statt in einem halb leeren. Pro reisender Person sind wir effizienter — aber in Wirklichkeit sind wir nur ein weiteres spritfressendes Flugzeug. Wenn ich nachts alle Vorhänge schließe und die Heizkörper herunterdrehe, um Heizkosten zu sparen — aber ich lebe am Ende des Tages immer noch in einem übergroßen Gebäude, das mit fossilen Brennstoffen beheizt wird ... Sich besser zu fühlen, wenn man in einem kleinen Aspekt einer insgesamt schlechten Situation effizienter ist, ermöglicht dieser Situation bestehen zu bleiben, normalisiert und in der täglichen Praxis verankert zu werden. Umweltverschmutzende Unternehmen wissen das nur zu gut, weshalb sie uns ständig mit Wohlfühlgeschichten über effizientere / grünere Fluggesellschaften, Zement, Autos usw. bombardieren.

3. Der außergewöhnliche, tugendhafte Mensch sein

Dies ist die Methode, mit der wir uns damit trösten, das Falsche zu tun, ja, aber aus den richtigen Gründen. Um die Welt fliegen — aber für eine wissenschaftliche Konferenz, die letztendlich der Menschheit (vielleicht) nützen sollte. Für ein Unternehmen arbeiten, das eine schreckliche Erfolgsbilanz hat — aber als Teil ihrer symbolisch grünen (-artigen) oder Nachhaltigkeitsabteilungen. Von fossilen Brennstoffen oder Rohstoffinvestitionen profitieren — damit Sie einen kleinen Teil an Wohltätigkeitsorganisationen spenden können.

4. Nicht außergewöhnlich und normal sein

In einer wahnsinnigen Gesellschaft, die sich immer schneller von der Sicherheit des Planeten entfernt, kann es sich anfühlen, als wäre man der Verrückte, weil man versucht, die Gesellschaft von ihrem gegenwärtigen Kurs abzubringen. Umgekehrt ist es äußerst beruhigend, mit dem Strom zu schwimmen und das Gleiche zu tun wie alle anderen. Auf der Autobahn mit all den anderen Autos zu fahren, fühlt sich ... normal an. Alle anderen tun es, was kann daran falsch sein? Sie essen Fleisch und Milchprodukte. Sie fliegen in den Urlaub. Sie haben einen schönen Job im Finanz- oder Bergbausektor. Und so weiter und so fort. Es ist beruhigend, das Gleiche zu tun wie bisher, das Gleiche wie alle anderen, aber diese Beruhigung selbst kann Wahnsinn sein.

Im Weiteren begrüßt Julia Steinberger erzielte Fortschritte, betont aber, dass sie erst der Anfang und zudem noch gefährdet sind.

5. Es gibt Fortschritte

Diese Kategorie ist etwas komplex zu beschreiben, da Fortschritte stattfinden sowohl im öffentlichen Bewusstsein, in Bewegungen als auch in realen Veränderungen und sie sollten nicht außer Acht gelassen werden. Die Erzählung „Fortschritt als Beruhigung“ ist jedoch entmächtigend: Wir verlassen uns auf diese Tatsache einiger technologischer und politischer Fortschritte, um unseren eigenen Mangel an Tun und Engagement zu rechtfertigen. Wir sollten zwei Eisen im Feuer haben: den Fortschritt dort willkommen zu heißen, wo er stattfindet, UND immer stärker darauf zu drängen, dass dies in allen Sektoren noch schneller und besser geschieht, auch um einen Rückfall zu verhindern. Leider, wie viele Menschen in der Gerechtigkeitsbewegung für Klima und Biodiversität erfahren, akzeptieren die Kräfte, die sich gegen den Wandel stellen, Niederlagen nicht so leicht und arbeiten ständig daran, positive Trends und Entscheidungen umzukehren.

Sie ermahnt uns, bei allen schönen Dingen immer auch daran zu denken, dass wir unsere Erde als Ganzes verteidigen müssen, da sonst diese Dinge verloren gingen.

6. Noch ist nicht alles Mist

Diese Kategorie ist der Grund, warum ich mich entschieden habe, diesen Beitrag zu schreiben. Sie ist auch komplex, denn wir sollten uns über die guten Dinge in der Welt um uns herum freuen: Babys, die schreien, lächeln, trinken und ihre liebevollen Betreuer hart arbeiten lassen, Zugvögel, die ihren Weg über den Globus hin und her finden, Bäume, die weit in die Luft und den Boden ragen, leckere gesunde Mahlzeiten mit Freunden und Familie, schöne kühle Morgen und klare Regentage. All das ist sehr, sehr gut und wir sollten uns ohne Zweifel darüber freuen.

Gleichzeitig ist es in Zeiten großer Veränderungen und Umwälzungen durchaus möglich, dass man sich von den Resten der Normalität um sich herum zu sehr beruhigt und damit zu sehr befriedigt fühlt. Die Tatsache, dass unsere Stadt, unser Zuhause, noch nicht überflutet wurde, bedeutet nicht, dass wir nicht alles daran setzen sollten, eine Verschärfung der Klimakrise zu verhindern. Die Tatsache, dass ein paar geliebte Vögel noch da sind und verzweifelt versuchen, sich von den Überresten ehemals üppiger Insekten- oder Fischpopulationen zu ernähren, bedeutet nicht, dass wir nicht alles Mögliche tun sollten, um ihnen Leben und Raum zurückzugeben und das Fortschreiten des sechsten Massensterbens der Artenvielfalt zu stoppen. Tatsächlich sollte uns der Anblick all der Teile der Welt, die wir lieben, dazu motivieren, härter gegen die Mächte des Bösen zu kämpfen, die ihr Bestes tun, um sie zu zerstören.

Ute Rieger

Quellen

1) Julia Neuhaus „Das Ende der Welt, wie wir sie kennen“ Dokumentation, NDR 2022

2) Julia Steinberger „Things no longer comfort me“, Medium.com, Jun 5, 2022

theecologist.org/2022/jun/06/things-no-longer-comfort-me

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